Ja vielfältig und einmalig, das waren sie mal wieder – die Teilnehmenden an der Internationalen Kultur- und Begegnungswoche für taubblinde und hörsehbehinderte Menschen. Dieses Jahr hatten wir uns vom 28. August bis 4. September in der renovierten Cusanus Akademie in Brixen eingefunden. Allein die Kommunikationsformen zeigten das vielfältige und damit individuelle Bedürfnis, miteinander zu reden. Die einen lormten einander, andere unterhielten sich mittels der Gebärdensprache oder der Lautsprache, benötigten die FM-Anlage – und manche gebrauchten alles, notfalls auch gemeinsam. Vielfältig waren auch die Heimatorte, aus denen wir uns auf den Weg nach Südtirol gemacht hatten. Bei drei „Einheimischen“ und 3 Österreichern waren 15 taubblinde aus Deutschland schon eine Größe für sich. Mit 58 Teilnehmenden – Taubblinde, Assistenten, Dolmetscher, Praktikantinnen – war wirklich eine Vielfalt an Charakteren und Persönlichkeiten vertreten.
Trotz Corona-Maßnahmen und -Bedingungen galt es ein ebenso vielfältiges wie ansprechendes Programm zu gestalten. Mit zwei Bussen unterwegs war es logistisch schon toll, wann welcher Bus bis wohin fahren durfte oder konnte – Sondergenehmigungen eingerechnet. „Kleines Land – große Vielfalt“ heißt eine touristische Aussage Südtiroler Werbetexter. Das machte sich auch bemerkbar, wenn in unserem Programm verschiedene Angebote nebeneinander liefen – da musste man sich entscheiden und das fiel nicht immer leicht…
Einen geführten Rundgang in der Brixner Altstadt mit den wichtigsten Punkten der ehrwürdigen Bischofsstadt war gleich am Sonntag-Nachmittagangesagt – wobei sich Brixen auch gleich von einer belebten, quirligen Seite zeigte. Wer sich gegen den Stadtrundgang entschieden hatte (wie ich zum Beispiel) fand sich in einem besonderen Haus wieder: Im Jahr 2002 wurde in der geschichtsträchtigen Stadtapotheke Peer in der Adlerbrückengasse ein kleines Pharmaziemuseum eingerichtet. Es bietet einen interessanten Einblick in 400 Jahre Heilkunde, Kräuterkunde und allerlei Irrglauben. 300 Jahre im Familienbesitz erzählen Haus und Apotheke vom Wandel der Zeit. Heilmittel und Gefäße werden ebenso ausgestellt wie Zäpfchenformen und Verpackungen. Auf den 150 m² Ausstellungsfläche gibt es aber auch Kurioses: Der Kopf eines Gürteltiers, eine Elchklaue und ein Stück ägyptische Mumie sind ebenso zu sehen wie vergoldete Pillen. Und gezuckerte Asseln wurden früher etwa gegen Fieber verabreicht… Produkte aus der Gegenwart vervollständigen die Ausstellung. In den vier renovierten Räumen befindet sich auch eine Bibliothek mit Werken aus mehreren Jahrhunderten, im Pharmazielabor kann man die Instrumente der Apotheker kennenlernen, die Bis ins 19. Jahrhundert fast alle Medikamente selbst herstellten. Unschätzbare Kostbarkeiten und liebevoll präsentiert – und für uns im besonderen!
Wasser – ganz vielfältig: Die Villanderer Alm mit einer Gesundheitstrainerin erwandern und entsprechende Anwendungen nach Pfarrer Kneipp einbeziehen, oder den Elisabeth-Stollen erkunden und vom harten Broterwerb der Bergleute erfahren und begreifen, war doch das Villanderer Bergwerk im Mittelalter eines der ertragreichsten Erzabbaugebiete Südtirols. Versetzt mit einigen Regentropfen, das war am Montag. Knödel aus Schüttelbrot, Holundersaft und Apfelstrudel gab’s zum Mittagsschmaus in der Almhütte und nachmittags tauschten die Gruppen das Programm. Der Dienstag brachte tiefe Einblicke ind das beliebteste Getränk der Deutschen – wir waren in einer Kaffee-Rösterei zum Probieren und ließen uns informieren – von der Frucht bis zur Zubereitung. Kaffeemühlen in unglaublichen Formen und Größen als Ausstellungsobjekte wären einen eigenen Besuch wert. Derweil war der andere Teil der Gruppe am Völser Weiher zum Schwimmen, Rudern oder Wandern. Am Nachmittag wurde dann gewechselt…
56 km² Wandergebiet und schönste Naturlandschaft zwischen 1.680 m und 2.350 m Meereshöhe – die Seiser Alm oberhalb von Kastelruth und Seis am Schlern ist in ganz Europa als größte Hochalm bekannt. Entsprechend beliebt ist sie sowohl im Sommer als im Winter, wenn sich die Gegend in ein Skigebiet mit herrlichen Pisten verwandelt. Immer begleitet natürlich von der unverwechselbaren Berg-Kulisse des Schlern, das Wahrzeichen Südtirols. Begrenzt wird die Seiser Alm von mehreren Berggruppen: Der Schlern, die 2.655 m hohe Roterdspitze und die Rosszähne liegen im Südwesten, die Langkofelgruppe im Südosten. Im Norden hingegen sind kleinere Erhebungen wie der Aussichtspunkt Puflatsch und der Pizberg zu finden, die Alm fällt dort zum Grödner Tal hin ab. Im Westen liegt das Schlerngebiet mit Tiers, Kastelruth und Völs am Schlern, hier senkt sich die Seiser Alm zum Eisacktal hin ab.
Mit der Kabinenseilbahn ging es am Mitttwoch also auf die Seiser Alm. Verschieden lange Wanderungen nach dem Mittagessen oder eine Kutschfahrt gehörten zu diesem Tag – ebenso wie die traumhaften Aussichten in die Südtiroler Bergwelt: sonnendurchfluttete Landschaft, blauer himmel, grüne Wiesen, schneebedeckte Berge… Auf der Terrasse des Alm-Gasthofes genossen wir Kulinarisches: Heublumensuppe im Brotteig und Zwetschgenknödel. Inmitten vieler Bergtouristen aus allen Herren Länder.
Spannende Geschichten gab es am Donnerstag auch bei der Altstadt-Führung in Klausen oder beim Besuch im kloster Säben, das in diesen Tagen seine Pforten schließt. Das typische Südtiroler Kleinstadt-Flair bietet Klausen mit seinen romantisch verwinkelten Gassen im Herzen des Eisacktales. Überragt wird die mittelalterliche Stadt vom Säbener Klosterberg, einem der ältesten Wallfahrtsorte Tirols mit vier Kirchen. Die Zinnen-gekrönten Fassaden, hübschen Erker, malerischen Gassen und die zierlichen Wirtshausschilder ließen Klausen 2002 in den Kreis der schönsten Altstädte Italiens aufsteigen. Die Altstadt erstreckt sich links und rechts der ehemaligen Brennerstraße, unterschieden wird die Oberstadt und die Unterstadt. Am Kirchplatz und am Tinneplatz weitet sich die enge Stadtgasse. Zahlreiche Markierungen künden von den immer wieder auftretenden Hochwasser des Eisack. Nach dem Mittagessen war Gelegenheit, in der altstadt zu verweilen oder sich auf den Weg zum Kloster Säben zu begeben…
Bleibt noch der Freitag mit dem Besuch auf dem Bio-Bauernhof. Wir halfen beim Brotbacken (für jeden ein „Vinschgerl“) und beim Käsen, hörten über die Landwirtschaft und die Viehhaltung, stärkten uns bei knödel und Apfelstrudel und einen Hofladen mit eigenen Produkten gab es auch – sogar Ferienwohnungen, behindertengerecht… am Nachmittag in Brixen nochmal ins Eiscafé… Oder Schüttelbrot und andere Südtiroler Spezialitäten besorgen…
Und schon ist wieder eine Woche zu Ende. Der Lokführer-Streik bei der Deutschen Bahn betraf uns zwar bei der Heimreise, aber wir kamen verhältnismäßig glimpflich davon.
Alles in allem war es eine Woche mit (fast nur) Sonnenschein drinnen und draußen, unbeschwert trotz Corona und den damit verbundenen Regeln auf der Reise, im Haus oder unterwegs. Wieder anderen begegnen zu können, gemeinsame Ausflüge machen zu können, wandern und die Natur genießen – das war für viele einfach not-wendig! Aufgefallen sind mir auch der herzliche und offene Umgang mit neuen Teilnehmenden – ob taubblind oder Assistenz – ein wohlwollendes Miteinander…
Ja, das war sie – Eine besondere, eine geglückte Woche: Dafür auch auf diesem Weg ein herzliches Dankeschön an Jennifer Salcher, eine neue Mitarbeiterin im Blindenzentrum Bozen: Sie hat zu Beginn des Jahres die Nachfolge von Lotte Dalsass angetreten und wurde gleich mit der Programmgestaltung betraut. Und: Es hat geklappt! Ãœberlegen, planen, organisieren: Ihre Unbefangenheit gegenüber der Gruppe und ihr jugendlicher Elan taten das Ãœbrige. Einfach toll, wenn man solche Mitarbeiter hat! Ihre Motivation und Sensibilisierung für den Dienstauftrag mögen mit diesem erfolgreichen Einstieg in die internationale Zusammenarbeit bestärkt werden! Dank an das Blindenapostolat Südtirol und dessen Vertreter, die den einen oder anderen Tag mit uns geteilt haben!
Gerlinde Gregori
(veröffentlicht in Lux Vera, 10 – 2021)