Besuch der begleiteten Führung für seheingeschränkte Besucher im Haus der Geschichte Bonn
10. Oktober 2019 – Am Welttag des Sehens lud das Bonner Haus der Geschichte zu einem ganz besonderen Besuch der aktuellen Ausstellung “Very British. Ein deutscher Blick” ein. Blinde und sehbehinderte, aber auch nicht seheingeschränkte Museumsbesucher hatten an diesem Tag die Möglichkeit, bei einer begleiteten Führung typisch britische Themen wie den BREXIT, die ROYALS oder die DEUTSCH-ENGLISCHE FUßBALLRIVALITÄT gemeinsam zu erleben.
Auch wir vom DKBW, die bereits mit dem Haus der Geschichte zusammengearbeitet haben, durften an diesem inklusiven Event teilnehmen. Mit von der Partie waren drei Kolleginnen aus dem Blindenschriftverlag, zusammen mit einer Mitarbeiterin des Deutsch Katholischen Blindenwerks. Um möglichst nicht nur einen „deutschen Blick“ auf die britische Kultur zu werfen, setzte sich das vierer-Team aus zwei Normalsehenden, einer blinden Mitarbeiterin inklusive ihres Assistenzhunds sowie einer hochgradig sehbehinderten Mitarbeiterin zusammen.
“Das Berühren der Exponate ist verboten! ”
Ein Hinweis, den man häufig in Museen findet. Bei besonders wertvollen oder empfindlichen Ausstellungsstücken ist das durchaus nachvollziehbar. Bakterien, Schmutz, aber auch grober Umgang können Artefakte beschädigen, im schlimmsten Fall sogar zerstören. Doch für blinde und sehbehinderte Menschen bedeutet dieses Verbot oftmals, dass sie von der Ausstellung gar nichts mitbekommen. Es ist eine enorme Einschränkung, fällt doch schon die visuelle Wahrnehmung, je nach Art des Sehverlusts, zu weiten Teilen oder sogar ganz weg. So kann ein Museumsbesuch schnell von Vorfreude in Frustration umschlagen, und man überlegt sich zukünftige Museumsausflüge zweimal.
Im Haus der Geschichte in Bonn versteht man das Erleben von Kultur jedoch als soziales Ereignis, und auch wenn das Berühren der Exponate nicht immer möglich ist, finden sie andere Wege, Besuchern mit Seheinschränkung einen visuellen Eindruck zu vermitteln.
Same Procedure – Not!
Das Team um Dr. Simone Mergen, mit Ronja Schabbach und Eva Dietrich, haben sich mit diesem Thema spürbar befasst und eine begleitete Führung für blinde und sehbehinderte Menschen ausgearbeitet, bei der das Erfühlen der Exponate – soweit möglich – ausdrücklich erlaub war. So befand sich in einem Ausstellungsraum ein Tisch mit 3D Nachdrucken bekannter britischer Exportprodukte, welche man in die Hand nehmen und ertasten konnte. Echte Kenner identifizierten binnen Sekunden die ausgedruckte Flasche als traditionellen Whiskey; das eckige Ding mit Deckel konnte nur eine Teedose sein. Was wäre typischer für Großbritannien?
Alles was nicht angefasst werden konnte – wie beispielsweise der heilige Rasen des Wembley-Stadions oder das Abendkleid von Queen Elizabeth II, welches sie 1965 während ihres ersten Besuchs der BRD beim Empfang in Schloss Brühl trug – beschrieb Eva Dietrich, die die Führung leitete, detailreich den umstehenden Besuchern, sodass man eine wirklich genaue Vorstellung von Schnitt, Applikationen, Farbe, kurzum dem Statement des Kleides bekam.
Dass sehende Menschen ebenfalls von solchen Deskriptionen profitieren, zeigte sich bei dem 2017 angefertigten Coventry Mantel, dessen aufwändig gestickten Szenendarstellungen auf der Rückseite des kirchlichen Gewands an der Schneiderpuppe gar nicht erkennbar waren. Erst wenn der Stoff komplett ausgebreitet sei, so erklärte Dietrich, sehe man die von ihr geschilderten Bilder zweier ähnlich aussehender, im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstörte Städte: eine davon ist Dresden. Erstauntes Raunen ging vor der Vitrine mit Deutschlands bekanntestem Tigerfell durch die Gruppe. Der auf der britischen Insel nahezu unbekannte Sketch Dinner for One gehört hierzulande zu Silvester dazu wie Sekt und Feuerwerk. Doch der Tiger hat einen Schönheitsfehler, erklärte Dietrich. Durch die wiederholten Stolperer des Buttlers James über das Tigerfell, musste eine Stelle am Hinterkopf des Tieres vor Jahren ausgebessert werden. Durch ein Leopardenfell.
Eine Vielzahl an auditiven Medien, darunter Videos oder Audioaufnahmen, bildeten zudem eine angenehme Mischung unterschiedlichster Darstellungsweisen. Es gab Tonspuren alter Radiobeiträge, Angela Merkels erstes Statement nach dem Brexit-Votum, eine Auswahl bekannter britischer Songs und vieles mehr. So bot “Very British” vielmehr einen „anderen Blick“, nämlich einen für den die Sehkraft gar nicht notwendig war.