Meine Lebensgeschichte
von Jutta Herz
Kurz nach meiner Geburt wurde festgestellt, dass ich nicht hören konnte. Zur Einschulung kam ich in das Internat der Gehörlosenschule. Bereits in der 3. Klasse stellte mein Lehrer eine Sehverschlechterung fest und schickte mich zum Augenarzt. Dieser verordnete mir die erste Brille. Nach dem Schulabschluss machte ich eine Lehre als Schneiderin. Wegen meiner Gehörlosigkeit durfte ich nur Änderungsschneiderin werden. Kein Wunschberuf für mich und so gab ich diesen nach weiteren 2 Jahren nach Lehrabschluss ganz auf. Ich wechselte in eine Fabrik, dort wurden Zigarren hergestellt. Ich blieb, bis es mein Sehvermögen nach fast 30 Jahren unmöglich machte, weiter Zigarren zu drehen.
Ein frohes Erleben war für mich, mit 24 Jahren den Führerschein zu bestehen. Nach den Operationen des Grauen Stars und Lasern eines Nachstars im Jahr 2008, ging mein Sehvermögen rasch zurück. Im Jahr 2009 musste ich das Autofahren endgültig aufgeben und es ging mit dem Sehen weiter abwärts. Schlagartig begannen die Probleme im täglichen Leben – die Krankheit „Usher“ war unaufhaltsam auch über meine Augen gekommen. Ab Mai 2010 bekam ich dann die Erwerbsunfähigkeitsrente.
Beim Landesverband der Gehörlosen habe ich nachgefragt, ob ich eine Begleitung bekommen kann und ob es möglich ist, für mich ein „Persönliches Budget“ zu beantragen – was Ende 2010 erfolgte. Im Januar kam das Sozialamt mit vielen, vielen Fragen zu mir nach Hause. Darunter auch, warum ich Assistenz brauche, sie hatten keine Ahnung von Taubblindheit.
Die Fragen gingen bis in die privatesten Bedürfnisse
Ich lebte damals noch im Haus meiner Eltern, meine Mutter war verstorben. Mein Vater und ich konnten miteinander nicht mehr kommunizieren. Die einzige Verständigungsmöglichkeit war eine Tafel, die mit Filzstift beschrieben werden konnte. Es folgten 2 Monate gesundheitlicher Probleme. Darauf gingen die Fragen des Sozialamtes von neuem an. Der Erfolg dieser Gespräche waren dann 360 Euro im Monat für eine Assistenz. Mir war zu dieser Zeit nicht bekannt, dass es Taubblindenassistenten gibt. Das Budget reichte monatlich gerade so für die Menschen, die bereit waren mich zu begleiten.
Das Taubblindenwerk in Hannover reichte beim Sozialamt für mich eine Reha-Maßnahme ein, die vorerst für ½ Jahr genehmigt und später um 10 Monate verlängert wurde. Dabei durfte ich vieles lernen, darunter die so wichtigen lebenspraktischen Fähigkeiten (LPF), am Computer blind zu schreiben, verschiedene Kommunikationstechniken und hatte Mobilitätstraining. Die Reha endete vor Weihnachten 2014. Beim Abschlussgespräch gab ich an, wieder in meine Heimat zurückzugehen. Die Isolation war aber dort größer als ich mir vorgestellt hatte und so entschied ich mich bereits Mitte 2015, in Hannover eine kleine Wohnung zu mieten. Nachdem mein Persönliches Budget wieder 360 Euro war, haben mir verschiedene Stellen geholfen, den Antrag auf Assistenz zu stellen. Im Jahr 2015 gab es noch keine Taubblindenassistenz in Hannover. Eine meiner Begleitungen ließ sich bei der ersten Möglichkeit die es gab, zur Taubblindenassistentin ausbilden.
Nach vielen Gesprächen mit dem Landratsamt bekam ich ein Persönliches Budget, das immer noch nicht reichte, um für längere Zeit Assistenzen bezahlen zu können. So beantragte ich ein neues Persönliches Budget. Dieses wurde mehrmals abgelehnt und ich wurde immer wieder gefragt, ob ich ins Taubblindenheim umziehen möchte.
Ich wollte nicht in ein Heim ziehen, sondern selbstbestimmt leben können
Es gestaltete sich schwierig und ich bekam die Empfehlung, mir Unterstützung über die Rechtsberatung behinderter Menschen zu holen. Mit der Unterstützung einer Anwältin und vielen Widerspruchsverfahren habe ich nach 2,5 Jahren eine Zielvereinbarung unterschrieben.
In dieser ersten Vereinbarung wurden 30 Prozent meines Blindengeldes und der Blindenhilfe abgezogen. Durch eine gesetzliche Regelung im Jahr 2020, wird von meinem Blindengeld und der Blindenhilfe nichts mehr abgezogen.
Ich bin sehr froh, nun unabhängig und selbstbestimmt leben zu können
Dieses Persönliche Budget ermöglicht mir nun Taubblindenassistenten (TBA) zu bestellen, wann immer ich eine TBA brauche. Zum Beispiel bestelle ich eine TBA für meinen Lebensmitteleinkauf, für einen Ausflug oder für Veranstaltungen, Einkäufe oder dem Besuch meiner Familie. Mit meiner TBA war es mir dann auch möglich, mich mit meinem Vater zu unterhalten und an Familienfeiern teilzunehmen. Eine TBA ermöglicht mir auch Gespräche mit Verwandten und Freunden zu führen, die nicht taktil gebärden oder Lormen* können.
Ich habe wöchentlich 20 Stunden zu Verfügung, die ich mir selbst einteilen kann und es mir somit möglich ist, in eine Taubblindenbegegnung zu fahren.
Ich freue mich sehr, dass ich ausgebildete TBA zur Verfügung habe – Freunde und Bekannte wollten nicht taktil gebärden und Lormen* können sie meistens auch nicht.
* Das Lormen ist eine Kommunikationsform für taubblinde Menschen, bei der die Buchstaben in Form von Punkten, Strichen und verschiedenen anderen Zeichen in die Hand des Betroffenen geschrieben werden.